Zeng Jinyan Portrait

Zeng Jinyan, eine 29-jährige chinesische Englisch-Professorin und Menschenrechtsaktivistin, in Peking aufge­wachsen, steht mit ihrer dreijährigen Tochter seit Dezember 2007 wegen ihres sozialen und politischen Enga­gements unter Hausarrest. FORBIDDEN VOICES zeigt erstmals Video-Dokumente, die sie selber gedreht hat. Die bedrückenden Bilder machen deutlich, wie das chinesische Regime versucht, die Freiheit der Blogger nicht nur im Internet, sondern auch im realen Leben mit Gewalt einzuschränken. Mit Hilfe von verschiedenen Seiten gelang es, die tagebuchähnlichen Film-Dokumente, die Jinyan in ihrer Gefangenschaft verfasst hat, aus dem Land zu schmuggeln. Jinyan drehte sie  in der Hoffnung, dass ihre Situation und ihre Botschaft, beispielhaft für ähnliche Schicksale in China, auch ausserhalb ihres Landes wahrgenommen werden. 

Ihr Mann, der bekannte Bürgerrechtsaktivist und Sacharow-Preisträger Hu Jia, wurde 2008 zu 3,5 Jahren Gefängnis verurteilt und kam, trotz schwerer Krankheit, erst im Juni 2011 nach Verbüssung der gesamten Haftstrafe wieder frei. Gemeinsam kämpft das Paar für die Einhaltung der Menschenrechte in China und die Anerkennung der Opfer von Tiananmen. Mit ihrem Twitter-Account, den sie trotz Verboten mit Hilfe eines Proxy-Servers betreibt, kämpft Zeng unablässig für ihre Forderungen. Trotz weitreichenden Konsequenzen.

Jinyan und ihr Mann lernten sich bei ihrem Freiwilligeneinsatz für Aids-Kranke im armen ländlichen China kennen. Der studierte Informatiker Hu Jia war im Rahmen sein Engagement für den Umweltschutz auf die Vertuschung eines Blutspendeskandals durch die chinesische Regierung aufmerksam geworden, bei dem sich hunderte von armen Bauern mit Aids angesteckt hatten. Die damals 18-jährige Englischstudentin und Men­schenrechtsaktivistin Jinyan war einem Aufruf von Hu Jias NGO in die Provinz Henan gefolgt, um in einem verlassenen Tempel ein Kinderheim für Aids-Waisen einzurichten. Die Behörden versuchten, die Hilfsaktion zu torpedieren. Für Jinyan war es das erste Mal, dass sie direkt mit staatlicher Repression konfrontiert wurde. Wenige Tage nach der Hochzeit des Paares verschwand Hu Jia spurlos. Sie meldete Hu Jia bei Polizei und Behörden als vermisst, doch ihr Mann blieb verschwunden. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich mit ihrem Blog an die Öffentlichkeit. Und begann so, erstmals ihre erschütternde Geschichte zu erzählen. Nach 41 Tagen fand sie ihren Mann abgemagert und geschwächt vor der Haustüre liegend. Jinyan brachte ihn ins Krankenhaus. Die Staatssicherheit hatte Hu Jia an einen unbekannten Ort verschleppt und ihm, trotz seiner schweren Gelbsucht, die lebenswichtigen Medikamente verweigert.

Nach seiner Rückkehr wurde Hu Jia unter Hausarrest gestellt, unter Androhung schwerwiegender Konsequenzen für ihn und Jinyan für den Fall, dass er den Anordnungen nicht Folge leiste. Jinyan konnte das Haus nicht mehr verlassen, ohne dass sie beschattet wurde. Seit diesem Tag wachen Beamte der Staatssicherheit vor ihrer Haustüre. Jinyan und Hu Jia haben die mehr als 200 Tagen, in denen Hu Jia vor seiner Verhaftung in ihrer Wohnung eingesperrt war, mit einer kleinen Kamera festgehalten; so ist ein erschütterndes Dokument einer totalen Überwachung und Beschneidung  jeglicher Bewegungsfreiheit entstanden. Das mutige Paar wurde für ihr unermüdliches soziales und politisches Engagement für den Europäischen Menschenrechtspreis nominiert. Als Jinyan darauf an einer Menschenrechtskonferenz in der Schweiz teilnehmen wollte, wurde sie an der Ausreise gehindert und ihr Pass beschlagnahmt. Jinyan verlor ihre staatliche Anstellung als Englisch-Professorin. Doch sie liessen sich nicht einschüchtern. Bei einer Anhörung des Europaparlaments über die Menschenrechtslage in China wurde Hu Jia aus dem Hausarrest direkt zugeschaltet und äusserte sich kritisch zu den Olympischen Spielen in Peking. Es war sein letzter öffentlicher Auftritt. Wenige Tage später führte ihn die Staatssicherheit mit Handschellen aus der Wohnung ab.

Im April 2008 wurde Hu Jia, nach einem nur dreistündigen Prozess, wegen «Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt» verurteilt. Nach der Urteilsverkündung brach Jinyan zusammen. Hu Jia wurde wie ein Schwerverbrecher in ein Hochsicherheitsgefängnis ausserhalb Pekings gebracht, das für Proteste von ausländischen Aktivisten schwer zu erreichen ist. Einmal im Monat konnte Jinyan ihren Mann im Gefängnis zu besuchen, doch sie wusste nie im Voraus, wann sie Hu Jia sehen durfte. Die Verurteilung des sanftmütigen Bürgerrechtlers hatte weltweit Kritik von Politikern und Menschenrechtsgruppen ausgelöst. Der Präsident der Europäischen Union verlangte seine sofortige Freilassung. Auch Condoleezza Rice hatte sich bei ihrem Besuch in Peking für Hu Jias Freilassung eingesetzt. 

Seit der Verleihung des Sacharow-Preises für Meinungsfreiheit an ihren Mann ist es Jinyan nicht mehr erlaubt, Besucher zu empfangen. Ihre Telefonverbindung und der Internetanschluss sind oft blockiert, doch trotz den Unterbrüchen gelingt es ihr immer wieder, ins Internet zu gelangen und die «Grosse digitale Mauer Chinas»  zu überwinden. Wobei alle Verbindungen mit der Aussenwelt strengstens überwacht werden.

Seit sie unter Hausarrest steht ist Jinyans einziger Zugang zur Welt das Internet. Sie weiss, dass jedes Wort, das sie in ihr Online-Tagebuch schreibt, von der chinesischen Internetpolizei gelesen wird. Jinyans Blog, in China als «Staatsbedrohung» eingestuft, wird immer wieder blockiert. Doch sie findet jedes Mal einen Weg, um die Blockade mit Hilfe von alternativen Servern zu umgehen und ihre Stimme aus der Gefangenschaft hörbar zu machen. Jinyan erklärt, dass die chinesischen Behörden den Internetzugang von Dissidenten unter Hausarrest oft nicht vollständig blockieren, da sie sich erhoffen, durch die Äusserungen auf den Blogs an wichtige Informationen über geplante Aktivitäten und andere verbotene Tätigkeiten zu gelangen.

Der chinesische Staat herrscht über das chinesische Internet. Über 40’000 Internet-Polizisten fahnden täglich nach «subversiven Elementen», blockieren ganze Websites, entfernen Diskussions-Möglichkeiten und andere Instrumente der Meinungsäusserung. In Anspielung an die Chinesische Mauer kontrolliert der «Grosse Firewall» den Internetzugang und sperrt Seiten wie Twitter oder Facebook. Und seit Mitte März 2012 hat sich das chinesische Regime – anlässlich des anstehenden Volkskongresses im Oktober – eine neue gesetzliche Grundlage für die Jagd auf Blogger geschaffen. Diese erlaubt es, bei vage definierten politischen Verdächtigungen wie «Gefährdung der Staatssicherheit» Menschen bis zu sechs Monate lang an einem unbekannten Ort unter Hausarrest zu stellen. Und ihnen jeglichen anwaltschaftlichen Beistand zu verweigern.

Eine amerikanische Journalistin des «Time Magazine» schrieb anlässlich der Wahl von Zeng Jinyan unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Gegenwart, «die unsere Welt als Helden und Pioniere» beeinflusst haben: «Sie ist die Online-Nachfolgerin der Demonstranten, die sich während des Tiananmen- Aufstandes todesmutig den Panzern in den Weg gestellt haben. Indem sie über die wahren Gegebenheiten in China bloggt, sät sie den Samen für eine neue – echte – Kulturrevolution. Sie ist Tiananmen 2.0.»

Noch immer kann Jinyan keinen Schritt vor die Türe machen, ohne von mindestens zwei Beamten verfolgt zu werden. Jeder Arztbesuch für ihre Tochter muss zuerst bewilligt werden. Doch die Bürgerrechtsaktivistin ist fest entschlossen, nach einer Aufhebung des Hausarrests ihre sozialen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Auf die Gefahr hin, erneut eingesperrt zu werden.

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